Psychische Belastungen, ein nicht endendes Thema
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind kein neues Phänomen, doch ihre Auswirkungen auf die Gesundheit von Mitarbeitenden werden in vielen Unternehmen noch immer unterschätzt. Die Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) hat bereits 2016 elf Indikatoren für gesundheitsgefährdende psychische Fehlbelastungen identifiziert, die bis heute nichts an Relevanz verloren haben. Diese Indikatoren sind nicht nur Warnzeichen, sondern gleichzeitig Ansatzpunkte für präventives betriebliches Gesundheitsmanagement.
Arbeitsintensität und Handlungsspielräume als kritische Indikatoren für gesundheitsgefährdende psychische Belastungen
Ein besonders prägender Indikator ist die hohe Arbeitsintensität. Wenn Personal abgebaut wird, während die Anforderungen gleich bleiben oder steigen, geraten Mitarbeitende unter chronischen Druck. Ergonomisch optimierte Arbeitsplätze, moderne Hilfsmittel und eine faire Aufgabenverteilung sind erste Schritte, um diesen Druck abzumildern.
Ein zweiter wesentlicher Punkt betrifft den Handlungsspielraum. Mitarbeitende, die ausschließlich nach festen Vorgaben handeln, erleben kaum Selbstwirksamkeit. Das führt langfristig zu Frustration und innerer Kündigung. Betriebe sollten daher Freiräume schaffen, in denen Entscheidungen eigenverantwortlich getroffen werden können. Selbst einfache Anpassungen der Abläufe können hier große Wirkung entfalten.
Soziale Unterstützung und Rollenstress als Indikatoren für gesundheitsgefährdende psychische Belastungen
Fehlende soziale Unterstützung führt nicht nur zu Isolation, sondern auch zu einer geringen Resilienz gegenüber Stress. Ein wertschätzender Umgang, offene Kommunikation und eine von Vertrauen geprägte Führungskultur sind zentrale Faktoren für ein gesundes Miteinander. Gerade in dezentralen oder hybriden Arbeitsstrukturen ist es entscheidend, gezielt in die Stärkung des Teamzusammenhalts zu investieren.
Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor ist der Rollenstress. Unklare Zuständigkeiten, widersprüchliche Erwartungen oder unzureichend kommunizierte Kompetenzen führen zu chronischer Verunsicherung. Diese kann wiederum in dauerhafte Überforderung münden. Klare Aufgabenverteilungen, transparente Kommunikationswege und regelmäßige Feedbackgespräche schaffen hier Orientierung und Sicherheit.
Welche Indikatoren haben heute an Bedeutung gewonnen – und welche nicht?
Aktuelle Daten zeigen, dass nahezu alle elf Indikatoren aus dem iga-Modell von 2016 auch heute noch eine hohe Relevanz besitzen. Besonders deutlich ist dies bei folgenden Faktoren:
- Arbeitsintensität und Überstunden: Zeitdruck und permanente Erreichbarkeit gelten nach wie vor als zentrale psychosoziale Risiken.
- Handlungsspielraum und soziale Unterstützung: Die Relevanz dieser Faktoren bleibt ungebrochen – insbesondere durch hybride Arbeitsmodelle.
- Effort‑Reward‑Imbalance & Job Strain: Das Ungleichgewicht zwischen Aufwand und Anerkennung bleibt ein global anerkannter Belastungsfaktor.
- Schichtarbeit, Rollenstress und Arbeitsplatzunsicherheit: Diese klassischen Belastungen werden in Studien weiterhin genannt und erfahren keine Entschärfung.
- Aggression am Arbeitsplatz: Dieser Aspekt gewinnt sogar an Bedeutung – etwa durch vermehrte Konflikte im Kundenkontakt.
Neu hinzugekommene Stressoren der modernen Arbeitswelt
Die klassische Liste der elf Indikatoren wird inzwischen durch neue Herausforderungen ergänzt:
- Technostress: Die Digitalisierung bringt erhöhte Anforderungen durch ständige Erreichbarkeit, Komplexität digitaler Tools und fehlende Pausen.
- KI-gestützte Prozesse: Der Umgang mit algorithmischen Entscheidungen, Kontrolle durch Systeme und Intransparenz erzeugt neue psychische Belastungen.
Fazit: Eine zeitgemäße Gefährdungsbeurteilung muss weiter denken
Die elf Indikatoren der iga bilden nach wie vor ein solides Fundament für die Beurteilung psychischer Belastungen. Doch sie müssen um aktuelle Faktoren wie Technostress und organisationale Sicherheitskultur erweitert werden. Psychische Belastungen haben sich nicht erledigt – sie haben sich weiterentwickelt. Wer als Unternehmen präventiv handeln will, braucht daher einen zeitgemäßen Blick auf alte und neue Belastungsmuster.