Ist der Verlust an Gewissenhaftigkeit eine stille Gefahr für Unternehmen?

Gewissenhaftigkeit

Persönlichkeitsmerkmale verändern sich – und das bleibt nicht ohne Folgen für die Arbeitswelt. Neue Studien, wie die Understanding America Study (Sutin et al., 2022), zeigen, dass sich insbesondere bei jungen Erwachsenen seit 2014 auffällige Verschiebungen vollzogen haben: Emotionale Instabilität nimmt zu, Empathie und Kooperationsbereitschaft gehen zurück, Geselligkeit sinkt. Doch am stärksten betroffen ist ein Faktor, der für Unternehmen von unschätzbarem Wert ist: die Gewissenhaftigkeit. Ihr Rückgang wirft Fragen auf, die weit über individuelle Verhaltensweisen hinausreichen. Sie betreffen unmittelbar die Leistungsfähigkeit, Motivation und Stabilität von Teams – und damit die Zukunftsfähigkeit von Organisationen.

Gewissenhaftigkeit und ihre Bedeutung für den Unternehmenserfolg

In der psychologischen Forschung gilt Gewissenhaftigkeit als eines der zentralen „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmale – und gleichzeitig als eines der verlässlichsten Prädiktoren für beruflichen Erfolg. Eine Belegschaft, die gewissenhaft arbeitet, zeichnet sich durch Verlässlichkeit, Zielorientierung und Sorgfalt aus. Für Unternehmen bedeutet dies: geringere Fehlzeiten, weniger Fluktuation und eine gesteigerte Produktivität. Darüber hinaus wirkt sich dieses Persönlichkeitsmerkmal positiv auf Motivation, Zufriedenheit und die Zusammenarbeit in Teams aus.

Ein Mangel an Gewissenhaftigkeit führt dagegen schnell zu betriebswirtschaftlichen Risiken: Projekte verzögern sich, Qualitätsstandards werden nicht konsequent eingehalten, und Führungskräfte verbringen mehr Zeit mit Kontrolle und Nachjustierungen. Langfristig leidet auch das Vertrauen – sowohl intern zwischen Kolleginnen und Kollegen als auch extern gegenüber Kundinnen und Kunden. Die Abwärtsbewegung dieses Merkmals sollte daher nicht als Randnotiz betrachtet werden, sondern als strategische Herausforderung für Unternehmensführung und Personalpolitik.

Gewissenhaftigkeit stärken – eine Führungsaufgabe

Die gute Nachricht: Auch wenn Gewissenhaftigkeit teilweise als stabiler Persönlichkeitszug gilt, lässt sie sich im beruflichen Kontext fördern. Unternehmen können Rahmenbedingungen schaffen, die Sorgfalt, Verbindlichkeit und Verantwortungsbewusstsein unterstützen. Dazu gehört eine klare Aufgabenstruktur ebenso wie transparente Kommunikation und realistische Zielsetzungen. Führungskräfte, die selbst Vorbild sind, prägen das Arbeitsverhalten ihrer Teams nachhaltig.

Impulse für die Praxis

Unternehmen, die die Entwicklung ernst nehmen, können konkret ansetzen:

  • Sensibilisierung schaffen: Führungskräfte und HR sollten die Bedeutung von Gewissenhaftigkeit kennen und deren Rolle im Unternehmen regelmäßig reflektieren.
  • Rahmenbedingungen optimieren: Klare Strukturen, erreichbare Ziele und geeignete Ressourcen unterstützen gewissenhaftes Arbeiten.
  • Kultur der Verbindlichkeit fördern: Versprechen halten, Absprachen einfordern, Vorbilder sichtbar machen.
  • Weiterentwicklung ermöglichen: Trainings, Mentoring und Coaching können Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein stärken.
  • Gesundheit sichern: Ergonomische Arbeitsplätze, realistische Arbeitslast und Prävention gegen Überforderung sind Voraussetzung für konzentriertes Arbeiten.

Fazit

Die abnehmende Gewissenhaftigkeit junger Erwachsener ist mehr als eine gesellschaftliche Randerscheinung. Für Unternehmen bedeutet sie eine stille, aber reale Gefahr für Produktivität, Zusammenarbeit und Mitarbeiterbindung. Doch anstatt diese Entwicklung als unveränderbare Gegebenheit hinzunehmen, können Organisationen aktiv gegensteuern. Gewissenhaftigkeit lässt sich fördern – durch klare Strukturen, eine wertschätzende Kultur und eine Führung, die Vorbild ist. Wer diesen Weg konsequent geht, investiert nicht nur in die Stabilität der Belegschaft, sondern auch in die Zukunftsfähigkeit des gesamten Unternehmens.